01.09. – 25.09.2012. 344 km. Während des längeren Besuch in Edmonton zieht der Herbst ins Land. Ein wunderschöner Indian Summer. Nach viel Schlaf und einigen materiellen Abenteuern nehme ich die letzte kanadische Etappe unter die Räder. Von der einen Grossstadt Albertas in die nächste. Ich begebe mich wieder ins Strassengewirr und erlebe nochmals die einmalige Gastfreundschaft der Leute hier. Bis in Calgary definitiv die Endstation der Amerikas erreicht ist. Der Abschied naht.
01.09. – 20.09.2012. Als Radreisender ist man sich gewohnt, mit der Sonne zu leben. Sie gibt Wärme und das nötige Licht auf der Strasse. Das muss sich nun ändern. Nun, muss oder kann. Ian arbeitet seit einem Jahr als Buschauffeur beim Edmonton Transit System und er mag die Spätschichten. Das heisst, er geht zwischen 14 und 18 Uhr zur Arbeit und kommt gegen 3 Uhr nachts nach Hause. Logischerweise steht er nicht um 8 Uhr morgens auf, sondern gegen Mittag. Tja, ich kann nun frech früh aufstehen und Lärm machen oder mich der halber Einfachheit anpassen. Ich wähle die zweite Lösung. Nach etwas Anfangsschwierigkeiten klappt es dann, ich hole viel Schlaf nach und hocke bis tief in die Nacht vor dem Computer. Wieder ein Nachtschattengewächs. Wie zu guten alten Zeiten.
Das Spätaufstehen hat aber einen frustrierenden Nebeneffekt. Ich habe das Gefühl, dass ich fast den ganzen Tag verpasse, zumal das Wetter meist wunderschön ist. eigentlich müsste man jetzt auf dem Fahrradsattel sitzen. Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit langen Spaziergängen dem North Saskatchewan River entlang, durch Downtown oder über die lebhafte Whyte Avenue. Als ich am 31. August hier in Edmonton ankam, war es Sommer, die Tage heiss, die Abende mild. Nun macht sich merklich der Herbst bemerkbar. Die Abende werden kühler, das Laub färbt sich jeden Tag etwas gelber. Es herbstelt sehr.
So vergehen die Tage, und bald merke ich, dass der 1. Oktober noch in fast unerreichbarer Ferne liegt. Zu fern. Das war eine Kurzschlussplanung damals in Banff, ohne grosse Gedanken dahinter, denn damals waren es noch 5 Wochen bis zum 1. Oktober. Monika sprach mal von 2-3 Wochen, die sie unterwegs sein wollte. Da war ich wohl etwas abgelenkt. Ich suche nun nach Möglichkeiten, die Zeit sinnvoll zu nutzen ohne mich zu sehr zu langweilen. Edmonton ist ganz nett, aber es ist keine Stadt wie z.B. Vancouver, in der man sich lange beschäftigen kann. Ich könnte natürlich per Bike nach Vancouver fahren, das wäre aber eine ziemliche Hardcore-Etappe. Ich könnte ein Stück fahren und dann einen Bus nehmen. Kompliziert. Dazu kommt hier noch der Fakt, dass der bereits gebuchte Flug viel zu teuer war. Auch eine Folge der Kurzschlussreaktion, denn ich finde mit nur minimem Aufwand massiv viel günstigere Flüge, die auch nicht via die USA gehen. So überrede ich Monika, den Flug zu canceln und einen neuen zu buchen. So bezahlen wir nun inkl. Strafgebühr fürs Canceln weniger als zuvor. Zudem wurde das Datum vorverschoben und ich habe als neuen Abflugort Calgary ausgewählt. Das bringt bei mir viel Ruhe in den Alltag, denn nun kann ich gemütlich nach Calgary radeln. Nun, so gemütlich wie es in dem Strassengewirr möglich ist, denn ich stürze mich nochmals freiwillig in das Riesengewirr. Auch ansonsten beruhigt sich meine innere Lage langsam, das Durcheinander findet langsam zu einer Ordnung.
Ansonsten mangelt es mir nicht an Zeit und ich kann viele meiner lange ausstehenden Mails beantworten. Gut so. Zudem steige ich in die Vollkornbrot und -brötchen Produktion ein. Die Küche ist mein Reich, zumal Kochherd und Computer so quasi nebeneinander stehen. Natürlich verbringe ich auch Zeit mit Ian, deshalb bin ich ja eigentlich hier.
Und es gibt materialtechnisch einiges zu tun. Nach dem Säurekontakt meines Aussenzeltes in Dunster suche ich mit Hilleberg nach Optimierungsoptionen. Schlussendlich werde ich ein neues Zelt kaufen. Dieses wird mir nach Edmonton geschickt. Dann besteht da ja noch die geplatzte Exped Matte. Normalerweise bekommt man beim Exped Kundenservice eine Standard-Antwort, die etwa lautet, man solle das Produkt zum Händler zurückbringen. Mein Händler ist aber REI in den USA, ich kann visatechnisch nicht mehr in die USA einreisen und REI hat zwar eine extrem gute Austauschpolicy von fehlerhaften Produkten, jedoch können genau Exped Produkte nicht ausserhalb der Staaten versandt werden. Und in Edmonton finde ich bei einer ersten Suche keinen Ersatz. Vielleicht muss ich doch auf Therm-a-Rest umsteigen? Nun, ich versuche es trotzdem noch mit einem sehr deutlichen Mail an Exped, und oh Wunder, mein Anliegen wird vom Standard-Antwort-Bürotisch an einen Entwickler weitergeleitet. Sehr konstruktiv. Der nette Herr ist sehr verständnisvoll und natürlich auch an meinen Erfahrungswerten interessiert, zumal dies ja schon die dritte Exped Matte ist, die ich ersetzen muss. Aber sie sind einfach sooooo bequem. Nun, Exped wird mir umsonst eine neuen Matte nach Madrid schicken, was ich sehr zu schätzen weiss. Vielen Dank!
Nun, die Schwierigkeiten halten trotzdem noch etwas an, in diesem Falle nun Zeltschwierigkeiten. Das Paket kommt am 18. September an, doch da das Haus keine Klingeln hat und die Haustüre geschlossen ist, verpasse ich den Postboten. Erstes Mal Mist. Leider kann ich das Paket erst am nächsten Tag ab 13 Uhr abholen, wie dem netten Zettel zu entnehmen ist, der an der Haustüre klebt. Noch mehr Mist. Eigentlich wollte ich nämlich spätestens am 19. September losfahren. Nun denn, wenigstens kann ich jetzt das kaputte Zelt auf die Post bringen, denn dieses werde ich Hilleberg nach Seattle schicken, so der Deal. Und weil man ja nie weiss, nehme ich den Abholzettel mal mit, als ich abends auf die Post laufe, um das Paket aufzugeben. Ich schleppe das schwere Teil den Berg hoch, zum Rexall Drugstore, wo sich auch das besagte Post Office befindet. Ich gehe in den Store, laufe auf einen Security Mann zu, der mir sagt, das Post Office sei zu. Wie zu? Den ganzen Tag geschlossen, weil der Schichthabende nicht zur Arbeit erschienen ist. „Wie jetzt? Und wird es morgen auf sein?“ Wisse man nicht. Mist zum Dritten. Vor dem Store sehe ich den Postwagen stehen. Der Fahrer ist drinnen, am Telefon, er muss hier seine nicht ausgelieferten Pakete abliefern. Ich spreche ihn an. Ich sei sicher, er hätte mein Paket, ob er es mir geben könne. Ja, er hätte mein Paket, aber müsse nachfragen, ob er es rausgeben darf. Er telefoniert. Nein, es sei illegal, er müsse es erst abliefern, da sonst das System nicht mehr stimme. Mist zum Vierten. Ich könnte dem Typen an die Gurgel springen, doch er kann ja nichts dafür. Er meint dann noch entschuldigend, dass ich das Paket sofort haben könnte, wäre jemand hier. Nun, er sitzt ja selbst in der Scheisse, denn er sollte all sein Zeugs hier abladen. Diese verdammte Stadt will mich einfach nicht mehr gehen lassen. Sicherheitshalber nehme ich das kaputte Zelt wieder mit, falls ich das andere morgen nicht auslösen kann, werde ich mit dem losfahren. Dies gibt mir nun noch 3 Tage, um nach Calgary zu fahren. Ca. 330 km in 3 langen Tagen. Viel, aber sicher machbar. Mal sehen, wie sich meine Erkältung damit abfinden kann, die ich mir hier netterweise auch noch eingefangen habe. Am nächsten Tag rufe ich sicherheitshalber am Morgen beim Post Office an. Ja, es ist jemand da, doch mein Paket nicht. Ich solle doch nach dem Mittag nochmals anrufen, auch um zu sehen, ob jemand da ist. Echt unglaublich. Es ist ein weiterer wunderschöner Herbststag und Ian hat frei. So machen wir uns gegen 13 Uhr mit dem alten Zelt auf dem Weg zum besagten Post Office. Und es ist tatsächlich jemand da. Doch mein Paket immer noch nicht. Die Fahrer würden nun die ganze Zeit reinkommen, wir sollten später wieder vorbeikommen. Nun, ich gebe jetzt mal das alte Zelt auf, ich mag es nicht mehr mitschleppen. Notfalls würde mir Ian sein Einpersonenhäuschen zur Verfügung stellen. Wir laufen zur Whyte Avenue, bummeln etwas herum und gegen 17.30 Uhr sind wir wieder beim Post Office. Ich sehe den Typen vom Vortag. Muy bien. Und es hat einen neuen Riesenhaufen Pakete da. Ian findet mein Zelt, es liegt obenauf. Sehr gut. Ich stehe an, ziemlich lange, doch dann teilt mir die Chica mit, dass die Pakete noch nicht im System seinen und sie jetzt keine Zeit hätte, das zu machen, das daure 20 Minuten. Ich versuche, ihr die Situation zu erklären, dass ich das Paket unbedingt brauche, doch sie meint nur, sie müsse erst die ewig lange Schlage bedienen, dann könnte sie evtl. das Paket eingeben. Wir warten penetrant daneben, und warten und warten. Die Schlange wird etwas kürzen, ich stelle mich wieder an. Nun kommt aber netterweise eine Drogerie-Angestellte und gibt die Pakete ein. Ian drückt mein Zelt vorne rein, ich stehe wieder an. Und zack, ich hab das Paket in der Hand, nicht mal einen Ausweis wollte die Chica sehen. Nun gut, Ende gut, alles gut. Das Zelt ist komplett und ich beruhigt. Das war ein Krampf. Oder Kampf. Am nächsten Morgen wäre nämlich immer noch nichts im System gewesen, ich hätte mich wohl dumm und dämlich warten können. Egal. Jetzt noch ein letztes Nachtessen und dann mache ich mich ans finale Packen. Morgen kann’s definitiv weitergehen.
20.09.2012. Und so ist es. Das heisst heute früh aufstehen nach all den Tagen als Siebenschläfer. Ich kämpfe mich aus den Federn, packe die restlichen Sachen zusammen und braue einen Kaffee. Das hilft. Dann frühstücken, mittlerweile ist auch Ian auf. Und schon ist es Zeit, das Bike zu beladen, dann bin ich startklar an diesem kühlen, sonnigen Morgen. Nun heisst es Abschied nehmen. Das letzte Mal war’s ein Abschied auf Zeit, diesmal ist’s wohl ein endgültiger Abschied. Ein weiterer trauriger Moment. Von diesen scheint’s in der letzten Zeit einige zu geben. Dann fahre ich los, gleich geht’s steil den Hügel rauf, auf der Highlevel Bridge überquere ich den North Saskatchewan River. Auf Nebenstrassen fahre ich in Richtung Süden, immer wieder mit Umwegen wegen Strassenarbeiten. Doch ich komme gut aus der Stadt raus, es ist eigentlich ganz angenehm und nach ca. 20 km biege ich schlussendlich auf den Queen Elisabeth II Highway oder einfach den Highway 2 ein. Hier tost der Verkehr, aber ich rolle, was richtig gut tut. In Leduc beschliesse ich, wieder in Richtung Calmar zu fahren und den Highway 795 in Richtung Süden zu nehmen. Ich habe ein extremes Verlangen nach einer Cola, so halte ich an einer Tankstelle. Gleich spricht mich auch schon ein Herr an, wohin die Reise gehe. Ich erkläre ihm alles in Minimalform. Er fragt, ob ich auf der Reise für einen guten Zweck sammeln würde. „Nein.“ Nun fragt, er, ob ich Spenden annehmen würde. „Ähm, ja.“ Er drückt mir 10$ in die Hand, ich würde das Geld brauchen. Was sagt man dazu. Vielen Dank! Ich kaufe mir die ersehnte Cola und mache mich auf den Weiterweg in Richtung Westen. Heute weht ein zügiger Westwind, die 15 km bis nach Calmar werden etwas abgebremst. Dann biege ich auf den Highway 795 in Richtung Süden ab. Der Verkehr nimmt rapide ab, oft bin ich alleine auf der Strasse. Herrlich. So macht das Ganze Spass.
Nach 70 km mache ich abseits der Strasse Mittagspause. Kurz, denn ich sollte heute ja noch ca. 50 km machen. Ich radle weiter südwärts, nach 90 km tut mir der Arsch so weh, das ich kaum noch sitzen kann. Das waren eben doch fast 3 Wochen Pause… Und jetzt beginnt der Schotter. Ich wusste, dass auf dem 795 Schotter zu erwarten ist, aber so früh hätte ich nicht damit gerechnet. Die Strasse ist mit einer dicken Schicht losem Kies bedeckt, ich schlittere hin und her, muss langsam fahren. Dann wird’s etwas besser. Einsam fahre ich durch die staubige Nachmittagshitze der herbstlichen Prärie. Unglaublich, keine 100 km von Edmonton entfernt und nur ein paar Kilometer neben dem geschäftigen Highway 2 weit und breit keine Menschenseele. Dafür massenhaft Kühe.
Interessanterweise hat es hier auch nicht viele Farmen. Ich biegen nach Osten ab, nun wird der Schotter wieder tief und sozusagen unbefahrbar. Zumindest für ein Fahrrad. Warum müssen die immer frisch „graden“, wenn ich komme? Ich schwimme durch die Gegend, zweimal haut’s mich fast vom Göpel. Ich schleiche vor mich hin, nun wieder in Richtung Süden. Es ist kurz vor 18 Uhr, bei der nächsten Farm muss ich nach einer Zeltoption fragen. Zudem geht mir das Wasser aus. Bei dem ersten Haus ist niemand da, doch weiter vorne sehe ich einen Pick-up in die Einfahrt abbiegen. Schnell hinterher. Eine grosse Farm, ein grosses, schickes Haus und der Pick-up vor der Garage. Nun, ich klopfe an die Tür. Bald öffnet eine Frau. Ich frage sie, ob ich mein Zelt irgendwo aufstellen darf. Sie schaut mich etwas verdutzt an, dann das Bike. „Klar.“ Gleich schiesst sie nach, ob ich „Supper“ wolle, jetzt sofort, sie seien gerade am Essen. „Hm, ja gerne.“ Ich werde reingebeten, es gibt Pasta und ein Glas Rohmilch, direkt ab Kuh. Vielen Dank! Martha muss gleich los, sie drück mir ein frisches Handtuch in die Hand und zeigt mir die Dusche und den wunderschönen Garten, wo ich mein Zelt hinstellen kann. Dann meint sie, ich solle einfach nehmen, Obst, Chips, falls ich Lust hätte. Sie muss los, der Mähdrescher ruft nochmals zur Arbeit. Sie fragt, ob ich mitkommen will. Ich bin ziemlich kaputt und als ich höre, dass es bis 23 Uhr dauern wird, muss ich verneinen. Ich gehe in den Garten. Wirklich ein perfekter Ort. Heute wird das neue Zelt eingeweiht. Was für ein Unterschied. Drei Jahre campen hinterlassen schon ihre Spuren an so einem Zelt.
Bevor Martha geht, fragt sie noch, wann ich aufstehen werde. Sie könne mich gegen 7.30 – 8.00 Uhr zum Frühstück reinrufen. Ok, vielen Dank! Ich glaube, falls ich je wieder durch Alberta’s Prärie fahren sollte, was ich eigentlich nicht im Sinn habe, dann nehme ich nur ganz wenig Essen mit. Die Leute hier sind einfach unglaublich.
21.09.2012. Ich bin extrem zügig am Morgen, als mich Martha um 7.40 Uhr ins Haus ruft, steht mein Bike bepackt bereit. Als gutes Farmerfrühstück gibt’s eine grosse Portion Porridge. Lecker. Dann gibt mir Martha noch einen Tipp für eine Strasse, die nicht auf meiner Karte eingezeichnet ist. So könne ich 7 km abkürzen und etwas weniger Zeit auf dem Highway 2 verbringen. Ich bedanke und verabschiede mich, und um 8.50 Uhr bin ich auf der Strasse. Es folgen noch weitere 5 Schwimmkilometer auf dem Schotter, dann wechselt der Belag zu Asphalt. Wie schön.
Dann biege ich nach Westen ab und bald folge ich der ruhigen Elkhorn Road in Richtung Süden. Diese stösst nach kurzer Zeit auf den verkehrsreichen Highway 2. Ich folge nun diesem, denn um Red Deer herum soll auch der Highway 2A busy sein. So spielt’s keine Rolle. Heute bläst der Wind schon den ganzen Tag von Süden her und wird immer kräftiger. Suboptimal wenn man in Richtung Süden fährt und Kilometer machen sollte, zudem kommen auch noch ein paar Hügel dazu. Ich strample neben dem dichten Verkehr her, nicht sehr angenehm, vor allem nicht die vielen Ein- und Ausfahrten. Nach Red Deer mache ich in der Gasoline Avenue Mittagspause. Ich finde einen Tisch mit Bank, nicht sehr romantisch, aber besser als der Strassenrand einer Autobahn. Dann geht’s weiter im Verkehrsgewühl und der dumme Wind wird immer stärker und bremst mich klar ab. Eigentlich wollte ich in Penhold auf den Highway 791 abbiegen, doch ich fahre weiter auf dem Highway 2 bis Innisfail, so kann ich mir etwas Schotter auf dem 791 sparen. Der Wind frischt weiter auf, die Kilometer bis Calgary nehmen nur langsam ab. So beschliesse ich, den 791 richtiggehend in den Wind zu schiessen. Das wären 20 Extrakilometer, davon immer noch 10 auf Schotter. Ich bleibe auf dem Highway 2 und biege nach Bowden auf den Highway 2A ab, in der Hoffnung, hier eine Farm zu finden. Doch erst ist nichts zu sehen, dann sind sie weit von der Strasse entfernt. Ich bin ziemlich kaputt, der Scheisswind bläst mir voll entgegen und ich sollte 120 km machen. Zudem tut mir der Hintern weh, so weh, dass ich kaum noch gehen kann. So ein Marathon ist nicht ideal nach längere Pause. Am Ortseingang von Olds gebe ich bei 118 km auf und frage bei einem Haus, ob ich im Garten zelten darf. Sicher doch. Später darf ich im Haus von Isa und Joseph duschen. Die beiden ziehen morgen aus, verbringen ihre letzte Nacht in dem Haus, in dem sie 22 Jahre wohnten. Dann fragt Joseph, ob ich nur duschen wollte oder ob ich auch besuchen will. Draussen ist es kühl, der mittlerweile kalte Südwind weht immer noch. Ich setze mich auf Sofa in der gemütlich warmen Stube und besuche, sprich unterhalte mich mit Isa. Dann lasse ich die beiden ihren letzen Abend geniessen und begebe mich in meine grüne Bleibe.
22.09.2012. Die ganze Nacht über höre ich das Rascheln der Blätter im Wind. Hm. Am Morgen bläst’s immer noch, natürlich von Süden her. Es ist kühl. Isa und Joseph fragen, ob ich mit ihnen im A&W frühstücken will, doch es fehlen immer noch ca. 100 km bis Calgary und wie es aussieht, habe ich wieder Gegenwind. So mache ich mich lieber auf den Weg. Ein kurzer Kaffeestopp bei der Essotankstelle liegt noch drin, dann bin ich wieder auf dem fadengeraden, leicht hügeligen Highway 2A unterwegs. Mit leichtem Gegenwind. Um mich herum ist es flach, die Landwirtschaftsmaschinen hinterlassen eine Staubglocke über den Feldern. In Crossfield mache ich nochmals einen Kaffeestopp, bevor ich wieder auf den Highway 2 einbiegen muss. Aber ich komme gut voran, der Wind kommst meist von Süden, doch manchmal dreht er auch. Hätte ich das gewusst, hätte ich doch den Highway 791 nehmen können. Na ja.
Bald folgt Airdrie und ab nun verdichtet sich der Verkehr massiv. Aber mir wurde mehrmals gesagt, dass die Strecke Airdrie – Calgary auf dem Highway 2 extrem stark befahren sei. Ich hoffte, dass es an einem Samstag vielleicht besser ist. Entweder spielt es keine Rolle oder ich will nicht wissen, wieviel Verkehr es hier unter der Woche hat. Die Autos, Trucks und sonstigen Gefährte donnern im sekundentakt dreispurig an mir vorbei. Mühsam sind die Ein- und Ausfahrten, speziell die Ausfahrten. Ich fahre in die Ausfahrt rein und schlage mich in der richtigen Sekunde wieder auf die linke Seite, ohne von einem mit 120 km/h heranbrausenden Fahrzeug überrollt zu werden. Calgary rückt immer näher, immer mehr Ein- und Ausfahrten. Die nächste Einfahrt ist zweispurig. Da habe ich keine Chance mehr, ich muss halten, links und rechts braust der Verkehr an mir vorbei. Dann fliehe ich einem Kamikazeakt auf die rechte Seite. Ich will hier raus. Da kommt wieder eine zweispurige Ausfahrt. Ich überlebe sie, dann ist’s genug und ich nehme die Ausfahrt 261. Auf dem Edmonton Trail fahre ich in Richtung Süden. Und apropos Edmonton. Die Stadt war ja verkehrstechnisch heilig im Vergleich zu Calgary. Nun geht’s immrhin viel besser, ich fühle mich wieder wohl. In meiner groben Karte von Calgary hatte ich die Warmshower-Adresse eingezeichnet. Ich muss in die 5th Avenue. Ich nähere mich der richtigen Strasse 6th. Steil geht’s den Hügel runter, und dann, oh nein, 4th. Ich fahre rein, wieder steil hoch. Mir fallen fast die Beine ab. Die Strassen hier erinnern mich stark an San Francisco. Krass steil. Und hier ist die 5th Avenue eine Sackgasse. Ich fahre eine Weile lang im Zeug rum, dann stehe ich vor dem richtigen Haus. Steven und Hannah wollten mir einen Schlüssel hinterlassen, doch ich treffe die beiden inklusive dem weiteren Gast Kayla gerade noch an. Die drei sind gerade am Gehen. Eine kleine Biketour durch die Stadt soll’s werden. Dazu habe ich gerade keine Kraft mehr. Ich dusche und und gönne meinen müden Beinen eine kleine Ruhepause. Das tut gut.
23. – 25.09.2012. Calgary ist nun definitiv die Endstation der Amerikas. Nicht die ursprünglich geplante, aber die letzte. Die letzten Tage im Norden Amerikas verliefen nicht wie geplant, aber irgendwie symptomatisch. Es hat schwierig angefangen, damals in Argentinien, und zwar auch nicht wie geplant in Ushuaia sondern in Uruguay, wieso soll es nicht unerwartet und etwas kompliziert aufhören? Das und viele weitere Gedanken schlagen aufs Gemüt, behilflich dabei sind sicher auch die Spaziergänge durch das herbstlich verfärbte Calgary. Die Farben stimmen mich noch melancholischer, ich vergehe in der Abschiedsstimmung.
Aber zum Glück gibt es noch ganz praktische Dinge zu tun. Ich muss das Bike putzen und eine geeignete Box finden. Dazu begebe ich mich am Sonntag in die Stadt in den MEC. Dort bekomme ich eine Box, eine sehr kleine. Daher nehme ich lieber gleich zwei mit. Wieder im Haus, bekommt das Bike eine gründlich Reinigung. Das dauert eine ganze Weile. Meine Warmshower-Gastgeber sind noch ziemlich jung und habe ihre eigenen Dinge am Laufen. So habe ich viel Zeit für mich, was mir hier sehr gelegen kommt. Dann steht das Bike gründlich gereinigt bereit. Und ich versuche gleich noch, die Pedalen zu lösen, was kein Problem ist. Davor hatte ich am meisten Angst, dass ich diese nicht aufkriege. Sieht also gut aus.
Den Montag reserviere ich fürs Verboxen des Rades. Die Pedalen sind ja schon ab, als nächstes kommt der Sattel dran, sprich die Sattelstütze. Doch die will nicht raus. Da kann ich ziehen und drehen wie ich will, das Teil sitzt fest. Bombenfest. So ein Mist. Ich träufle Öl rein und lasse es etwas einwirken. Ohne Erfolg. Wieso kann nicht einfach alles mal klappen. Ich montiere die Pedalen wieder und fahre zu einem Bikeshop. Der Mechaniker da versucht es, doch auch er sieht schwarz. Er spritzt vorsichtig noch mehr DW40 oder ähnliches rein und lässt mich hoffnungslos wieder gehen. Im Shop sehe ich noch eine Bikebox, die grösser ist als die vom MEC. Ich frage, ob ich die später holen kann. Klar. Also heimradlen und gleich wieder auf den Zug sprinten. Dann das Riesending heimschleppen, was bei dem heutigen Wind etwas abenteuerlich ist. Ja gut, jetzt habe ich eine grosse Schachtel und einen Sattel, der nicht rauskommt. Ich zerlege das Bike in ziemlich viel Einzelteile, halt so klein wie möglich. Wäre dieser blöde Sattel nicht verhockt, hätte das Bike mit Hinterrad dran wunderbar in die Box gepasst. Ich wundere mich, dass z.B. in Bellingham niemand auf die Sattelstütze aufmerksam wurde, liess ich dort doch einem Komplettservie machen. Irgendwie kriege ich das Bike auch so in die Schachtel, jedoch musste ich beide Räder entfernen und ich kriege sie nur so in die Box, dass die Hubschrauben ziemlich rausstehen. Ich habe diese zwar gut gepolstert, doch würde es mich nicht wundern, wenn das Bike nicht heil in Spanien ankommen würde. Ich hoffe es ja absolut nicht, aber es würde der ganzen Situation irgendwie gerecht werden. Na ja, abwarten. Und einen Kamillentee trinken. Das beruhigt. Die Reise nach Europa kann losgehen. Es ist soweit. In diesem Sinne bis bald auf einem anderen Kontinenten.
Dann willkommen auf dem Heimatkontinent und toi toi toi mit dem Rad!