14.06. – 22.06.2018. 442 km. 10’015 Höhenmeter. Schweiz, Österreich, Italien. Die Alpen sind nicht die Anden, aber auch hier kann man gut in die Höhe steigen. Immer wieder. Die Alpen haben wunderschöne Pässe und Strassen, mit dem Passo dello Stelvio ist der zweizhöchste geteerte Alpenpass dabei. Eine wunderschöne kleine, aber feine Radtour gleich um die Ecke von „zu Hause“.

Route: Chur – Thusis – Savognin – Bivio – Julierpass – Silvaplana – Samedan – Zernez – Scuol – Strada – Martina – Nauders – Reschenpass – Reschen – St. Valentin – Schuderns – Prad am Stilfserjoch – Trafoi – Passo dello Stelvio – Bormio – Valdidentro – Passo del Foscagno –Trepalle – Passo Eira – Livigno – Forcola di Livigno –Berninapass – Pontresina – Samedan – La-Punt – Albulapass – Bergün – Alvaneu Bad – Brienz – Lenzerheide – Chur

Anbei die Route auf der Karte (das ist nur die ungefähre Route, Fahrradwege sind nicht aufgeführt):

Die kleine Alpentour beginnt vor meiner Haustüre in Chur, meinem momentanen Wohnort. Durch das Rheintal und den Polenweg erreiche ich das Domleschg und bald geht es auf die Hauptstrasse in Richtung Tiefencastel. Die Schweiz verfügt über diverse grosse Velorouten, die eine folgt offiziell dieser Hauptstrasse. Einer der schrecklichsten Radabschnitte seit langer Zeit und ich bin mich einiges gewohnt. Bald befinde ich mich nämlich in einem langen Tunnel, der Verkehr donnert in voller Geschwindigkeit an mir vorbei und gibt mir jedes Mal einen Windstoss. Hässlich! Sehr hässlich! Bald folgt ein zweiter Tunnel, dann biegt der Radweg auf Nebenstrassen ab. Das heisst dafür steil hoch in ein kleines Dörfchen fahren, um dann wieder steil auf der anderen Seite runterzukommen. Ich biege auf die offizielle Mountainbike Route durch die Schweiz ab. Das heisst schöne Strässchen, bald rumpelt mein Rad über einige enge Trails. Und natürlich geht es bald wieder steil hoch. So habe ich mir den ersten Tag auf dem Rad nicht vorgestellt und die physische Form von vor 2 Jahren habe ich auch nicht mehr. Ja, ja, so naiv kann man sein… der Tag endet mit fast 1’400 Höhenmetern in Savognin, obwohl da kein Pass zu befahren war. Übriges ist der Camping für Zelte in Savognin eher ein Witz. Neben dem Tennisplatz darf man das Zelt aufstellen, natürlich wird den ganzen Abend Tennis gespielt und der Club-Eingangn vom daneben stehenden Cube ist auch nicht sehr verlockend. Einzig die heisse Dusche ist gut. Die ist sogar sehr gut!

Slow Motion auf dem Polenweg

Die Steigung geht weiter und nach vielen Kurven errreiche ich den ersten Pass, den Julierpass auf 2’284 m.ü.M. Dort oben suche ich mir in der bergigen Weite ein nettes Plätzchen für eine Mittagspause. Es ist schön hier oben. Ich mag diese schroffen Berglandschaften. Die Abfahrt ins Engadin nach Silvaplana ist kurz, liegt das Engadin um einiges höher. Den Seen von Silvaplana und St. Moritz entlang fahre ich noch bis Samedan, wo ich mir auf dem wirklich schönen Camping Gravatsch ein schönes Plätzchen im Wald suche. 

Der Marmorera Stausee auf dem Weg zum Julierpass

Irgendwo auf dem Julierpass

Zelten nahe der Flugschneise von Samaden

Ich erwarte einen ruhigeren Tag auf dem Inn-Radweg entlang dem Inn, aber bald steige ich steil den Berg hoch, runter, wieder rauf, immer wieder. Nach Zernez wird der Weg etwas flacher und in Lavin biege ich auf die Hauptstrasse ab. Der Radweg führt hoch in die schönen Dörfer Guarda und Ftan, die kenne ich aber schon. Zudem habe ich keine Lust auf noch mehr hochfahren, um dann wieder runterzufahren. Irgendwann kommt mir in den Sinn, dass heute ja Samstag ist und morgen die Läden zu sind. Ich sollte noch einkaufen. Wie schnell man doch vergessen kann. Ebenfalls machen sich meine Tage bemerkbar, ich habe ziemlich starke Bauchschmerzen, die sich in einfach keiner Position lindern lassen. Als ich die letzte Steigung nach Scuol geschafft habe, steure ich den Coop an. Einkaufen, draussen hinsetzten. Mittlerweile ist mir so übel, dass ich mich fast vor dem Laden übergebe. Einfach nur weg, lautet nun die Devise. Ich fahre am Camping vorbei, doch die vielen Leute stossen mich ab. Ich setzte mich einfach auf die Strasse und esse eine Banane. Vielleicht habe ich ja auch noch Hunger?! Es wird etwas besser. Bei der Lischana-Quelle der nächste Stop. Das Wasser soll ein ideales Sportlergetränk sein. Ein Schluck und mir ist gleich wider übel. Der Schwefel-Metallgeschmack ist eklig! Ich esse noch ein Brötchen, dann fahre ich weiter. Langsam verfliegt die Übelkeit und auch die Bauchschmerzen lassen zum Glück langsam nach. 
Der Inn-Radweg folgt in der Schweiz nicht sehr oft dem Inn, aber hier im Unterengadin sind es doch noch einige schöne Kilometer. 

Unterwegs auf dem Inn Radweg

Bei Martina – natürlich gibt es ein paar Fotos bei dem ehrenhaften Ortsschild – biege ich über den Inn ab nach Österreich. Ein neues Land für mein Fahrrad! Über die 18 Kehren der Norbertshöhe erreiche ich Nauders und sanft hoch geht es weiter zum Reschenpass. Seit heute Morgen fahren sich die Steigungen, als ob ich nie was anderes gemacht hätte. Auf dem Reschenpass überfahre ich die Grenze nach Italien und folge der Via Claudia Augusta durch das schöne Vinschgau. Ein wirklich toller Rad und Wanderweg, fernab von Strassen. Entlang dem Reschen- und dem Haidersee, dann geht es stetig runter. In Prad am Stilfser Joch verlasse ich die Via Claudia schon wieder. Meine Königsetappe erwartet mich. Der Passo dello Stelvio! Es ist erst Mittag, daher nehme ich die ersten Höhenmeter und Kehren noch in Angriff. In Trafoi suche ich mir ein schönes Plätzchen auf dem dortigen Camping mit gewaltiger Aussicht auf die Ortler-Berge.

Auf der Via Claudia entlang dem Reschensee

Es gefällt mir dort so gut, dass ich einen Ruhetag anhänge. Diesen verbringe ich mit einem Spaziergang zum Kraftort der heiligen drei Brunnen. Die Legende erzählt, dass im 13. Jahrhundert der Hirte Moritz an dieser Stelle aus dem Felsen drei Rinnsale brechen sah. Jedes davon trug ein Kreuz mit sich. Zwei der Kreuze konnte er erwischen, das dritte wurde weggeschwemmt. Eines dieser zwei Kreuze ist in der Kirche von Stilfs zu sehen, das zweite in der Kirche St. Johann im Münstertal. Es ist wirklich schön hier und es gäbe ganz viele tolle Wanderungen zu machen. Aber für mich total fremd, habe ich diesmal ein Zeitlimit. Das ist schon etwas störend, aber so ist das nun mal, wenn man „nur“ Ferien hat. 
Auf dem Camping lerne ich unter anderem noch Elsa und Peter kennen, ein Paar aus Bern, unterwegs mit einem Landrover. Die beiden laden mich spontan zum Abendessen ein… Raclette mit Bergsicht. Das gibt es auch nicht jeden Tag! Vielen Dank!

Bei den heiligen drei Brunnen in Trafoi

Raclette mit Elsa und Peter

Der Tag der Königsetappe ist angebrochen. Heute steht der Passo dello Stelvio auf dem Programm. Ich steige gleich weiter hoch, kurvig geht es durch den Wald, mit blauem Himmel und Sonnenschein wird es schnell warm. Beim „Weissen Knott“ gibt es nochmals einen tollen Ausblickblick von oben auf die heiligen drei Brunnen und die Ortler-Berge. Die Franzenshöhe ist ein weiterer Meildenstein, von dort sieht man hoch auf die resltichen Kehren hoch zum Pass. 48 dieser Kehren und mehr als 1800 Höhenmeter sind von Prad aus zu bewältigen. Ich umrunde Kehre um Kehre, werde selbstverständlich von vielen Rennradfahrern, Motorrädern und Autos überholt. Als ich nach etwa 3,5 Stunden oben ankommen wird überall geklatscht. Die lahme Ente hat es geschafft! Yeahhh!!!! Ich werde total überrumpelt, da oben herrscht ein riesiger Halli-Galli. Zig Hotdog-Buden, Souvenirs, Hotels, Leute mit Skiern – da oben befindet sich eines der letzten Sommerskigebiete der Alpen – und ein Chaos von Fahrzeugen. Ich gönne mir noch den Blick auf die Kurven vom Rifugio Garibaldi aus, dann verlasse ich das Chaos. Es folgt die rassige Abfahrt um weitere 34 Kehren in Richtung Bormio und das Valdidentro. 

Blick auf die wunderbaren Ortler-Berge vom „Weissen Knott“

Blick von der Franzenshöhe auf den Stelvio

Yeahhh! Geschafft! Die Passhöhe ist erreicht!

Blick auf die Kurven vom Rifugio Garibaldi

Blick auf einige der 48 Kehren des Passo dello Stelvio

Kaum unten, folgt natürlich der nächste längere Anstieg auf den Passo Foscagno. Dieser führt mich ins Livigno und den nächsten Pass, den Passo Eira. Bevor es auf den nächsten Pass geht, lasse ich mich am Ende des Tales von Livigno auf dem letzten Camping nieder. Langsam verdunkelt sich der Himmel, Regen ist im Anmarsch. Und zwar schnell. Bald rasselt er aufs Zeltdach, Blitz und Donner kommen dazu. Immer näher donnert es, immer lauter wird es. Bald blitz und donnert es im Sekundentakt, mir wir doch tatsächlich unwohl in meinem Zeltchen. Und ich habe in diesem doch schon einige Gewitter durchgestanden. Ein brutal lauter Knall, jetzt hat der Blitz irgendwo eingeschlagen. Ich will hier weg. Ohne ein halbe überschwemmung ins Zelt zu lassen krieche ich raus – es riecht ein bisschen nach verbranntem Baum – und renne zum Toilettenhaus. Unterwegs verliere ich noch einen Schuh, aber egal. Vom Häuschen aus beobachte ich, wie das Wasser auf dem Platz immer höher steigt, ein halber Fluss fliesst mittlerweile das Strässchen runter. eine Weile blitzt und donnert es weiter, dann strömt langsam nur noch der Regen. Als dieser etwas nachlässt gehe ich zum Zelt. Zum Glück steht es an einem Ort, wo das Wasser nicht stehen bleibt. Glück gehabt! Ich suche mir kurz etwas zum Kochen zusammen, natürlich habe ich einen Riesenhunger! Ich fülle Nudeln, Wasser und ein paar Gewürze in meine Pfanne und schnappe mir den Kocher. Da höre ich Stimmen, meine Nachbarn vom Wohnwagen:“Komm doch zu uns rein, es ist wirklich nass hier draussen.“ „Gerne, aber zuerst möchte ich etwas kochen.“ „Koch doch einfach bei uns, wir haben eine Küche hier drin.“ So lerne ich Laura und Antonio aus Sondrino kennen. Antonio spricht nur Italienisch, Laura kann etwas Englisch. Ich bleibe den ganzen Abend bei den beiden und in Spanisch, Französisch, Englisch und mit Händen und Füssen unterhalten wir uns blendend. Mittlerweile hat sogar der Regen aufgehört, es ist kühl geworden. Die beiden bieten mir sogar an, im Wohnwagen zu schlafen, da sie in nebenstehenden VW-Bus schlafen. Das lehne ich dankend ab…

Auf dem Passo Foscagno

Laura und Antonio, meiner Retter vom Livigno

Am nächsten Morgen lädt mich Laura noch zum Frühstück ein, dann mache ich mich auf den Weiterweg. Heute erklimme ich den Forcola di Livigno, ein sehr schöner und wenig befahrener Pass. Und die Blumenvielfalt da oben ist einfach atemberaubend. So schön! Nach dem Pass geht es kurz runter und ich bin zurück in der Schweiz. sogleich folgt der nächste kurze und steile Anstieg zum Bernina Pass. Schon beim Rauffahren habe ich einen wunderbaren Blick auf Berge und Gletscher. Auf dem Pass wird die Aussicht noch besser, strahlt der Lago Bianco in leuchtendem Türkis von unten rauf. Es ist wunderschön da oben, lange sitze ich da und bestaune die Landschaft. Es ist auch bei uns wunderschön! Definitiv! Beim Runterfahren halten die Highlights an. An einer Stelle sieht man wunderschön auf die Berninagruppe mit dem einzigen Viertausender der Ostalpen, dem Piz Bernina. Wahnsinn! Bald bin ich wieder in Samedan, diesmal fahre ich zum Haus von meinem Götti. Bei meiner letzten Durchfahrt war er nicht zu Hause, aber diesmal klappt es. Wie gerne treffe ich doch Leute während meinen Fahrradtouren! Das Fahrrad verbindet wirklich!

Auf dem Bernina Pass mit dem Lago Bianco

Blick auf die Bernina Gruppe mit dem Piz Bernina

Als letzter Pass folgt der Albula, der wohl schönste Übergang ins Engadin. Fast verkehrsfrei kurve ich hoch, langsam macht sich aber ein eiskalter Wind bemerkbar. Natürlich kommt er in Form von Gegenwind daher… was sonst! Weiter oben wird er langsam sehr lästig, macht das Fortkommen schwer. Auf dem Pass muss ich mich sofort warm anziehen, es ist eisakalt. Die Abfahrt wird noch kälter, das erste Mal auf dieser Sommertour wünsche ich mir Handschuhe. Beim Lai da Palpuogna halte ich. Der See gilt als einer der schönsten Bergseen in der Schweiz. Lange sitze ich am Ufer und wärme mich auf. Die Albulastrasse windet sich in engen Kurven weiter ins Tal runter, der Gegenwind bleibt mir erhalten. Der Anstieg auf die Lenzerheide beginnt bald und wenn ich schon mal hier bin kann ich auch gleich bis nach Chur Durchfahren. So endet dieser Tag nicht wie erwartet im Zelt, sondern wieder vor meiner Haustür in Chur.

Auf dem kalten Albula Pass

Der schöne Lai da Palpuogna

Eine wunderbare kleine, aber feine Alpentour geht zu Ende. Gerne hätte ich noch viel mehr Pässe angehängt, so schön war es. Ein ander Mal dann wieder!