07.–18.06.2020. 497 km, 10873 Höhenmeter. Schweiz. Von Basel aus erkunde ich eine mir unbekannte Ecke der Schweiz, den Jura. Ich treffe auf tolle Landschaften, zahlreiche Hügel, offene Menschen und viel Regen. Eine eher nass als trockene Tour mit einigen Einblicken in die verschiedenen Tiefen der Erde. 

Route: Basel – Kleinlützel – Grindel – Welschgätterli – Montsvelier – Rechtenberg – Delémont – Bassecourt – Gorges de Pichoux – Moutier – Gorges de Court – Reconvilier – Bellelay – Les Breuleux – Mont Soliel – St-Imier – Chasseral – Lamboing – Lignières – Enges – Savagnier – Les Hauts-Geneveys – Tête-de-Ran – Col de la Vue des Alpes – La Chaux-de-Fonds – La Sagne – Les Ponts-de-Martel – Travers – Creux du Van – Couvet – Fleurier – Vallorbe – Lac de Joux – Col du Marchairux – Bière – Aubonne – Denes – Lausanne

Hier ein sehr grobes Bild der Tour:

 

Für einmal startet die Tour nicht in Chur, sondern in Basel. Dies zugleich ein netter Besuch in einer alten Heimat. Mit vielen Tipps im Gepäck starte ich auf der nationalen Velo-Route 7, die mich aus der Stadt rausbringt. Nach ein paar flachen Kilometern beginnt die erste Steigung auf einen der unzähligen Hügel. Höhenmeter kann man auch im Jura genügend machen, denn flach wird es selten. Bei Kleinlützel verlasse ich die Route 7, fortan geht es rauf und runter bis nach Gimpel. Die meisten Dörfer, die ich passiere, sind menschenleer, aber in Gimpel komme ich mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Natürlich fragt er, wo ich so voll beladen hinwolle. «Nach Erschwil», meine Antwort. Er meint, dass ich doch besser weiter den Hügel hochfahre und erklärt mir seine Route. Ich bin müde und und ein baldiges Camp kommt mir gelegen. Ich frage den Herrn, ob es jemanden störe, wenn ich irgendwo da oben mein Zelt aufschlagen würde. «Absolut nicht, da oben gibt es auch eine Hütte, geh doch dahin.» Er gibt mir noch einen Sack mit frisch gepflückten Kirschen mit auf den Weg. So fahre ich weiter den Berg rauf, beim einem der beiden Bauernhöfe frage ich nach Wasser. Der Weg zu der Hütte ist extrem steil, ich schiebe mein Rad noch eine Weile den Berg hoch. Aber die Hütte ist perfekt mit einem kleinen Vordach. Dies wird bald nützlich, denn kurz nach meiner Ankunft beginnt es zu regnen und auf diesen nur 850 m auch ganz schön kühl.

Das Zwergenland von Huggerwald

Ein perfektes Camp für eine regnerische Nacht

Eine feuerrote Kugel verabschiedet den Tag

Es regnet die ganze Nacht und den zweiten Tag starte in voller Regenmontur und bei leichtem Regen. Ich folge der Mountainbike-Route 3. Aus Erfahrung weiss ich, dass diese Mountainbike-Routen wirklich für Mountainbikes gedacht sind, das bestätigt sich bald wieder. Die Schotterstrasse führt steil hoch, bald fahre ich auf einem Single-Trail. Mit dem Regen sind Wurzeln und Steine nass und rutschig, der Weg ist gut matschig. Eine abwechslungsreiche Sache. Der Weg führt immer weiter nach oben, irgendwann vermute ich, dass ich einen der Wegweiserpfeile der Bikeroute verpasst habe. Ich weiss auch in etwa, wo das gewesen sein könnte. Aber es kann nicht mehr weit nach oben gehen, also folge ich der Schotterstrasse, mittlerweile bei starkem Regen. Diese endet irgendwann im Wald, es führt nur noch eine schmaler Pfad weiter. Nehm ich doch den. Ich lande auf dem Rechtenberg. Nicht dass ich dahin wollte… Immerhin gibt es hier ein paar Wegweiser von Wanderwegen. Einer führt nach Delémont. Den nehm ich doch. Ich rumple weiter über Stock, Wurzeln und Stein und nach einer Weile treffe ich tatsächlich wieder auf den Bikeweg. Ziemlich eingeschlammt erreiche ich Delémont, wo ich mir eine Dreckspur hinterlassend ein Zimmer suche. Ich brauche Strom und Internet, denn es muss doch eine etwas konkreterer Plan für die Route her…

Nasser Start in den Tag

Nasser Start in den Tag

Grau in Grau und ein bisschen Grün

Grau in Grau und ein bisschen Grün

Irgendwo im Nirgendwo

Weg war mal

Ich sehe mehr Schnecken als Menschen...

Ich sehe mehr Schnecken als Menschen…

Bei grauem Himmel geht’s weiter nach Bassecourt, dann im Zickzack durch die schöne Gorges de Pichoux und die nicht ganz so spektakuläre Gorges de Court. Die wenigen Menschen, die ich antreffe sind allesamt sehr freundlich und hilfsbereit. Kaum halte ich irgendwo, bietet mir jemand Hilfe an oder ist einfach in der Stimmung für einen kleinen Schwatz. 

Ein bisschen Rot in all dem Grau

Meeting mit einem Alien

Und noch ein bisschen Rumhängen

Die schöne Gorges du Pichoux

Das Zuhause des Tete de Moine

Über Bellelay, der Heimal des Tête-de-Moine Käses, führt mein Weg über den schönen Mont Soleil nach St-Imier. Von dort erklimme ich den höchsten Hügel im Jura, den Chasseral. Es ist wohl der einzig wirklich schöne Tag auf dieser Tour und das Timing lohnt sich. Die Fernsicht vom Chasseral in die Alpen ist wirklich klasse! 

Höchster Pass dieser Tour, der Col du Chasseral

Beim Sendeturm Nods auf dem Chasseral

Panoramablick in die Alpen

Ein schöner Ausblick

Ich kurve auf der anderen Seite noch etwas in der Gegend herum und ich Lignières fahre ich auf den Camping. «Alles voll, alles voll», ruft die Dame an der Rezeption ins Telefon. Auch für ein Zelt hat es keinen Platz mehr, wie sie mir dann mitteilt. In den katholischen Kantonen machen wegen Fronleichnam viele eine Brücke und es ist das zweite Wochenende mit offenen Campings. Diese werden nur richtig gehend erstürmt. Nach einigem Hin und Her findet sich dann schlussendlich doch noch ein Plätzchen für mein Zelt.

Weitere Hügel führen mich in das Val de Ruz und dann steil hoch auf den Tête-de-Ran. Von dort oben blicke ich wieder auf den Chasseral und auf einen immer grauer werdenden Himmel. Über den Col de la Vue des Alpes geht es runter in Richtung La Chaux-de-Fonds, vor der Stadt biege ich wieder einmal auf die Route 7 ein, vor mir vier ältere Radfahrer mit leichtem Gepäck und E-Bikes. Auffallend ist, dass diese Gruppe Radfahrer meistens ignorant an mir vorbeifährt und auch selten zurück grüsst. Hingegen winken mir hier in der Gegend fast alle Rennradfahrer zu…  Bald regnet es. Nach einer Weile schüttet es aus allen Kübeln, die kleine Landstrasse wird zum braunen Bach. Es ist auch ganz schön kühl auf guten 1100 Metern Höhe. Langsam hege ich den Wunsch nach einer heissen Dusche. In La Sagne halte ich beim einzigen Hotel, davor stehen vier Velos. Nun, mein Bauchgefühl gibt mir recht, als ich patschnass im Café des Hotels stehe und nach einem Zimmer frage. Alles voll. Und in der Nähe gibt es nichts anderes. Der nette Kellner schreibt mir ein paar Telefonnummern auf, die mir aber so alleine nicht viel sagen. Ich fahre einfach weiter, nass bin ich schon. An der Strasse viele grosse Bauernhöfe, ich tendiere langsam dazu, bei einem nach einer trockenen Scheune zu fragen. Doch ins nächste Dorf fahre ich zuvor noch. Les Ponts-de-Martel. Das mit «Hotel» beschriebene Gebäude wie schon viele zuvor eher am zerfallen und nicht mehr in Betrieb. Ein Wegweiser zeigt ein BnB an. Das versuche ich noch. Lange fahre ich den Hügel hoch. Kurz vor dem Umkehren nochmals ein Wegweiser. Und nach einer letzten steilen Steigung stehe ich vor dem Haus. Ich klingle, eine ältere Dame öffnet die Tür. Ob ich eine Reservierung habe, fragt sie. Selbstverständlich nicht. Aber zum Glück gibt es ein freies Zimmer und meine total durchnässten Kleider landen nach der nun doch ersehnten heissen Dusche im Tumbler des Hauses.

Blick auf den Chasseral vom Tete-de-Ran

Da braut sich etwas zusammen

Der Lichtblick des Tages, Alpenglühn am Creux du Van

Im Regen spaziere ich am nächsten Tag durch die Moore von Les Ponts-de-Martel und wandere durch die schöne Schlucht Pouette Combe. Vom Creux du Van hätte ich heute nichts gesehen, der versteckt sich bis zum Abend in einer dicken Wolkendecke.

In der Schlucht Pouette Combe

Begegnung im Moor

Nass ist vorherrschend

Im Jura trifft man immer wieder auf Höhlen

Weiter geht es in Richtung Val de Travers. In Travers biege ich auf einen Loop zum Creux du Van ein. Hoch zur Ferme Le Soliat. Dort lasse ich mein Rad stehen und laufe die paar hundert Meter zur beeindruckenden Felsenarena. 160 Meter hohe, senkrechte Felswände umschliessen einen vier Kilometer langen und etwa einen Kilometer breiten Talkessel. Äussert beeindruckend! Ich wandere den ganzen Rand des Kessels ab, immer wieder tun sich gewaltige Aussichten und Einblicke auf. Ab und zu nieselt es leicht, die Wege sind rutschig und die Menschenmassen halten sich in Grenzen. An schönen Wochenenden muss der Ansturm auf dieses Naturwunder schon fast irre sein. Aber der Besuch lohnt sich, denn beeindruckend ist der «Grand Canyon der Schweiz» auf jeden Fall.

 

Ein erster Einblick

Ein erster Einblick

Die gewaltige Dimension des Kessels

Die gewaltige Dimension des Kessels

Blick auf die Abbruchkante

Blick auf die Abbruchkante

Einblick in den Kessel von der anderen Seite

In Vallorbe gibt es den nächsten Stopp. Wieder einmal ist Regen angesagt, ein guter Zeitpunkt um die Grottes de Vallorbe zu besuchen. Nach den gewaltigen Höhlen der brasilianischen Terra Ronca ist die Höhle relativ klein, aber je näher ich mich der grossen Halle nähere, umso beeindruckender wird sie. Der Fluss Orbe führt nach all dem Regen viel Wasser und tost lautstark durch die Grotte. Überall in der Höhle sind Lichtspiele zu bewundern, beeindruckend vor allem in der grossen Halle, wo zum Lichtspiel eine ganze Musikshow dazu kommt. Da ich fast alleine in der Grotte bin, lasse ich sie dreimal laufen.

Auf dem Weg zur Grotte aux Fées

Die Grotte aux Fées

Die Grotte aux Fées

Gemäss Wetterbericht soll das Wetter endlich besser werden. Ein Blick aus dem Fenster offenbart mir ein Stück blauen Himmel. Nun, das relativiert sich wieder, als ich nach draussen trete und in Fahrtrichtung auf eine graue Wolkenwand blicke. Ich fahre in Richtung Lac de Joux und danach geht es rauf auf den Col du Marchairuz. Nieselregen setzt ein, lange fahre ich so vor mich hin. Doch plötzlich schüttet es wie aus Kübeln. Ein paar Meter weiter fahre ich auf einen Ausstellplatz, doch da bin ich schon ziemlich nass. Ich ziehe trotzdem sämtliche Regenkleider über. Der starke Regen hält an, aber da ich schon nass bin, fahre ich auf der Passhöhe einfach weiter. Anhalten wäre kälter als weiter fahren. Ein Motorradfahrer kauert unter einem Baum, ich fahre langsam runter. Der Regen geht in Hagel über, ich bekomme auf dieser Tour wirklich das volle Programm geboten. Ich verliere an Höhe und langsam bessert auch das Wetter. Irgendwann scheint sogar wieder die Sonne und ich trockne langsam. Von hier oben könnte man bei guter Sicht den Mont Blanc sehen, leider nicht heute. Langsam fahre ich durch Weinanbaugebiet hinunter zum Lac Leman. In Lausanne mache ich auf dem Camping Vidy halt, wo ich auf Kollegin Laeti treffe, die dort wohnt. Ein schönes Wiedersehen.

Blumiger Start in den Tag

Blick auf Le Brassus

Auf dem Col du Marchairux ist das Wetter noch nicht besser

Beim Lac Leman

Wir essen gerade vor meinem Zelt zu Abend, als langsam ein Gewitter näher kommt. «Nein, das zieht vorbei», meint Laeti. Die ersten Tropfen fallen, es werden immer mehr. Laeti flieht in ihren Camper, ich schliesse die Luken. Mittlerweile rüttelt es am Zelt, der Regen prasselt heftig und immer wieder donnert es gewaltig. Die Gewitterzelle zieht genau über den Camping. Ein lauter Knall irgendwo in der Nähe. So wohl ist mir bei solch heftigen Gewittern nicht in meinem Zeltchen. Aber schlussendlich zieht es vorbei. Bei einem späteren Spaziergang stellen wir fest, das ein Blitz in einen Baum in der Nähe eingeschlagen hat. Na ja. Besser wird das Wetter nicht – ich hatte mir noch überleget, etwas weiter zu fahren – es regnet die ganze Nacht über und am Morgen packe ich mein Zelt ebenfalls im Regen zusammen. Irgendwie habe ich jetzt genug davon, ich beschliesse, von hier den Zug zurück nach Chur zu nehmen.

Irgendwie bin ich auf dieser Tour nie so richtig in meinen Fahr-Rhythmus gekommen. Gut hat es aber trotzdem getan, der Kopf ist gelüftet und frei für neue Herausforderungen. Und etwas Positives hatte das regnerische Wetter doch auch… so viele Dinge habe ich mir auf einer kleinen Tour schon lange nicht mehr angeschaut.

Auf jeden Fall kann ich sagen, der Jura hat mir sehr gut gefallen. Die vom Wasser geprägte Landschaft ist rau und anders, die Mentalität der Leute viel offener als in anderen Ecken der Schweiz. Es gäbe hier noch viele Dinge und Wege zu entdecken… wer weiss, vielleicht ein ander Mal wieder.