06.06.–15.06.2023. 945 km. 6667 Höhenmeter. Schweiz, Deutschland, Österreich, Liechtenstein. Diese eher ungeplante Tour führt mich dem Bodensee entlang in Richtung Norden wo ich die Schwäbische Alb durchfahre. Danach schnuppere ich etwas Donau-Radweg und der Iller entlang geht es wieder in Richtung Süden, wo mich einmal mehr der Rhein erwartet.

Route: Buchs­­­–St. Margrethen–Rorschach–Kreuzlingen–Konstanz–Radolfzell–Ludwigshafen–Meßkirch–Sigmaringen–Laucherthal–Gammertingen–Gomadingen–Münsingen–Bad Urach–Donnstetten–Aichelberg–Süßen–Schwäbisch Gmünd–Aalen–Hülen–Nördlingen–Merzingen–Harburg–Wörnitzstein–Donauwörth–Höchstädt an der Donau–Gundelfingen an der Donau–Ulm–Illerberücke–Senden–Wullstetten–Illerbeuren–Maria Steinbach–Kempten–Öschle–Immenstadt im Allgäu–Oberstaufen–Stiefenhofen–Weiler-Simmerberg–Scheidegg–Bregenz–Dornbirn–Feldkirch–Eschen–Bad Ragaz–Landquart–Chur

Eine sehr grobe Darstellung der Route:

 

Eigentlich wollte ich in Richtung Engadin und Südtirol aufbrechen, um da ein paar neue Pässe zu erfahren. Wochenlang habe ich die Passöffnungen verfolgt. Sogar der Gavia-Pass ging vor Abfahrt noch auf! Doch wegen der eher unsicheren Wetterprognose mit vielen Gewittern entscheide ich mich zwei Tage vor Abfahrt spontan für den Norden. Vogesen und Schwarzwald könnten es sein, doch ich bin im Besitz von genau drei deutschen Radkarten. Vogesen fallen also weg, ich entschiede mich für das Kartenblatt Bodensee / Schwäbische Alb mit dem dort eingezeichneten Schwäbische Alb Radweg. Diese Gegend kenn ich noch nicht.

 

«Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.»

Indianische Weisheit

 

Die Routenführung des Schwäbische Alb Radweges wurde erst kürzlich komplett überarbeitet. Ausgeschildert ist er unter Umständen noch nicht komplett, ein GPS wird empfohlen. So eines habe ich nicht, daher werde ich einfach die alte Route fahren. Die ist auf meiner Radkarte wie auch auf Komoot eingezeichnet.

Eigentlich wollte ich mit dem Zug bis nach Rorschach fahren, da ich diese Strecke schon kenne. Aber neu führt die SBB keine direkten Züge nach St. Gallen via Rorschach mehr und zweimal umsteigen mit dem Velo ist mit zu blöd. Daher geht’s mit dem Zug nur bis nach Buchs. Die Sonne scheint und im Rheintal bläst auch der Wind schon frisch und fröhlich. Unterwegs in Richtung Norden heisst das Gegenwind. Es ist viel los auf dem Rhein-Radweg und das wird auch beim Bodensee nicht besser. Ich komme mir manchmal vor wie auf der Radautobahn. Vom See selbst sieht man auch nicht so viel, der Weg verläuft oft etwas weiter weg vom Ufer. Gegen Abend erreiche ich Kreuzlingen, wo ich mich für die Nacht auf dem Camping Hörnli niederlasse. Im Preis wäre auch noch der Eintritt ins nebenan liegende Freibad inbegriffen. Das Bad kenne ich von früher, als Jugendliche bin ich da viele Wettkämpfe geschwommen. Doch ich habe 100 km in den Beinen, das reicht für den ersten Tag.

Sonnenuntergang am Bodensee in Richtung Konstanz

Sonnenuntergang am Bodensee in Richtung Konstanz

Im Hafen von Kreuzlingen

Im Hafen von Kreuzlingen

Bald bin ich in Konstanz und damit in Deutschland. Dem See entlang fahre ich nach Radolfzell, dann weiter in Richtung Norden. Am Strassenrand werden überall frische Erdbeeren verkauft. In Ludwigshafen beginnt dann der eigentliche, alte Schwäbische Alb Radweg. Bis nach Nördlingen wird mich dieser führen. Ich fahre durch kleine Dörfer und dann länger auf einer Schotterstrasse durch den Wald. Nach dem ganzen Rad-Rummel am Bodensee sehe ich hier für Stunden keinen Menschen. Das tut gut. Ich geniesse die Stille und die Kühle des Waldes. Kurz vor Sigmaringen biege ich für ein paar Kilometer auf den Donauradweg ein. Da ist es mit der Ruhe wieder vorbei. Auf dem Camping in Sigmaringen treffe ich auf der winzigen und nicht so einladenden Zeltwiese einige Radler, die auf dem Donauradweg unterwegs sind. Jim aus Vancouver spricht mich gleich an. Der Kanadier ist 71 Jahre alt und mit dem Rad in Europa unterwegs. Bis ans Schwarze Meer will er. Ich finde es immer cool, ältere Radler anzutreffen. Ich hoffe, ich kann mit 71 auch immer noch mit dem Rad reisen. Ich mache mich auf den Weg ins Kaufland, einen so riesigen Supermarkt, dass ich gleich etwas überfordert bin. Danach schaue ich mir noch die Stadt an. Auf der anderen Seite der Donau gibt es einen sehr schönen Blick auf das Schloss Sigmaringen.

In den Gassen von Sigmaringen

In den Gassen von Sigmaringen

Das imposante Schloss Sigmaringen

Das imposante Schloss Sigmaringen

Früh mache ich mich auf den Weiterweg. Vorbei am Schloss folge ich noch etwas der Donau, dann biege ich wieder nach Norden ab. Es geht weiter durch Wälder und kleine Dörfer. Fachwerkhäuser prägen die Dorfbilder. Der Himmel wird immer dunkler und langsam beginnt es zu tröpfeln. Ich stelle mich eine Weile unter, doch dann fahre ich weiter, da der Regen nicht wirklich stärker wird. Auf dem Rad gibt es bei mir eine bestimmte Regenstärke, die nach Regenbekleidung ruft. Diese Stärke erreicht der Regen nicht. Und kalt ist es auch nicht. In der Nähe blitzt und donnert es. Genau jetzt fahre ich lange über einsame Felder. Doch irgendwie bleibe ich am Rande der Gewitterzelle und werde nur leicht nass. Bis jetzt waren die Wegkennzeichnungen immer gut, doch jetzt verfahre ich mich das erste Mal. Ein paar Arbeiter, die an diesem Feiertag arbeiten, helfen mir weiter. Bald frage ich in einem ersten Gasthof nach einem Zimmer. Es ist Fronleichnam, alles voll. Diesen katholischen Feiertag hatte ich nicht auf dem Bildschirm. Das Bild wiederholt sich bei den nächsten zwei Gasthöfen in Münsingen. Auf einem Feld sehe ich zwei Männer. Ich rufe ihnen zu, ob es ein Plätzchen für mein Zelt gibt. Wie immer bei diesen Fragen schauen sie etwas verdutzt und sagen nein. Weil es kein Wasser in der Nähe hat. Auf einem Erlebnisbauernhof mit Camping, der auch voll ausgebucht ist, erbettle ich mir dann doch noch ein Plätzchen für mein Zelt.

Am Abend wird es kühl und bald verzeihe ich mich in meinem Zelt. In der Nacht gehe ich mal raus. Seit langem sehe ich wieder mal einen klaren Nachthimmel und der grosse Wagen und Polaris weisen den Norden. Ich habe sie vermisst, diese Nächte. Ich war schon so lange nicht mehr mit dem Zelt unterwegs. Ein nasser Frühling und sehr viel Arbeit haben die Gelegenheiten etwas rar gemacht.

Abfahrt in Sigmaringen mit letzten Blick auf das Schloss

Abfahrt in Sigmaringen mit letzten Blick auf das Schloss

Die Fachwerkhäuser von Trochtelfingen

Die Fachwerkhäuser von Trochtelfingen

Eine Gewitterzelle zieht vorbei

Eine Gewitterzelle zieht vorbei

Eine Gewitterzelle zieht vorbei

Nach Münsingen folgt eine längere, wunderbare und fast schon mystische Abfahrt durch einen Wald. Die Stimmung an diesem frühen Morgen ist einfach wunderbar mit dem sanft einfallenden Licht. Der Ort erinnert mich an den Jura und an der Scherligraben auf der Herzroute. Irgendwie habe ich seit ich unterwegs bin viele Deja-vus. Landschaftsbilder scheinen sich irgendwann zu wiederholen.

Abfahrt nach Bad Urach

Wunderbare Morgenstimmung

Aber irgendwie kommt bei mir nicht die sonst übliche Freude am Unterwegs sein auf. Bin ich mit meinen Gedanken noch bei den Pässen im Südtirol? Oder bei der Arbeit? Oder ist es die Landschaft, die nicht wirklich etwas Spektakuläres bietet? Am Wetter kann es nicht liegen, denn das ist einfach prächtig. Ich weiss es nicht, aber er ist irgendwie etwas beängstigend. Ich fotografiere auch sehr wenig, was auch nicht normal ist auf meinen Touren. Mehrmals am Tag sage ich mir, dass ich einfach das Unterwegs sein geniessen muss. Aber irgendwie klappt es nicht…

In Bad Urach

Eines der vielen Dörfer, die der Radweg durchfährt

Ausblick in die Hügel

Bad Urach ist ein weiteres, sehr schönes Dorf. Es geht weiter über Schotterstrassen durch Wälder, durch kleine Ortschaften und auf Landstrassen kämpfe ich weiter gegen den Wind. Ich hatte vor Abfahrt kurz eine Windkarte angeschaut. Von Nordosten bläst der ziemlich regelmässig. Na, und ich bin auf dem Weg in Richtung Nordosten. Gegen Nachmittag frischt er meist nochmals gut auf. Sehr anspruchsvoll ist das Terrain nicht, die Höhenmeter halten sich in Grenzen. Aber die Anstiege, sind oft kurz und fies, sprich sehr steil. Vor so einem stehe ich nun wieder. Ist ja klar, dass ich da hoch muss, jetzt in der schönen Nachmittagshitze. Ich fahre keuchend hoch, danach geht es weiter ansteigend über eine Schotterstrasse. Lange folge ich dieser. Bei einer Abzweigung keine Radwegweiser. Das ist kein gutes Zeichen. Ich sehe die kleinen Tafeln des x-Crossings, der Gravel-Version über die Schwäbische Alb. Da ich aber keine Ahnung habe, wie diese Route verläuft, konsultiere ich mal mein Handy. Na ja, komplett falsch bin ich hier. Dieser fiese Aufstieg hätte es nicht sein müssen, ich hätte einen anderen Abzweig nehmen sollen. Eine Abfahrt. Ich werde in Zukunft das Handy früher konsultieren. Und mir auf der Weiterfahrt mal die Sache mit dem GPS überlegen. Ist nicht das erste Mal, dass ich mich in den letzten Tagen verfahren habe. Das ist in Südamerika einfacher, da gibt es meist einfach eine Strasse und nicht wie hier Dutzende… nach weiteren Kilometern gegen den Wind steure ich den Camping in Aichelberg an. Für heute ist es genug…

Auf der Weiterreise fahre ich nun oft auf einem Radweg neben der Strasse, gegen den Wind und auf diesen falschen Ebenen. In spanisch heissen sie «plano falso» und ich habe sie noch gut aus Südamerika in Erinnerung. Die Strasse scheint eben zu sein, aber sie steigt immer leicht an. Das Fortkommen fühlt sich eher anstrengend an. Von dem gibt es heute viel, oder zu viel. Es folgt Schwäbisch Gmünd. Die grössere Stadt bedeutet nach all den ruhigen Strassen das erste Mal Stress. Es hat viel Verkehr, zweispurige Strassen, viele Ampeln, viele Kreisel. Das macht keinen Spass. Auch die Ausfahrt entlang der Autobahn durch die ganze Industrie ist nicht sehr ansprechend. Kein Wunder, gehört dieser Teil nicht mehr zur neuen Streckenführung. Das hätte ich mir auch gut ersparen können. Campingplätze sind in dieser Gegend auch keine mehr vorhanden. In Aalen gönne ich mir zum ersten Mal ein Hotel direkt bei der Therme. Tolles Hotel und tolles Abendessen. Eigentlich wäre es Zeit für einen Ruhetag, zumal das Hotel mit der Therme verbunden ist. Doch eine kurze Konsultation der Reststrecke und des Wetterberichtes oder einfach meine momentane Stimmung lassen mich den Plan langsam verwerfen.

Der Morgen startet gleich mit starkem Gegenwind. Die vielen Windkraftanlagen zeugen von einer windigen Gegend. Fahren gegen den Wind ist nicht nur anstrengend, auf dem Rad hat man auch immer das laute Geräusch in den Ohren. Das nervt langsam. Sogar im Wald windet es hier. Vorbei am schönen Lauchheim mit der Kapfenburg geht es weiter in Richtung Osten. 

Haarige Begegnung

Einfahrt nach Lauchheim mit Blick auf das Schloss Kapfenburg

Schotterstrasse durch den Wald, wo es schön kühl ist.

Gegen Mittag fahre ich in Nördlingen ein. Endpunkt des Schwäbische Alb Radweges, oder zumindest der ehemaligen Streckenführung. Nördlingen ist eine interessante Stadt und am besten würde man sie wohl von oben betrachten. Die Altstadt ist von einer runden, gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer umgeben.

Überall stehen Maibäume

Ankunft in Nördlingen, dem Ende des ehemaligen Schwäbische Alb Radwegs

Bei der geheimen Tür in Nördlingen

Ab Nördlingen folge ich der Radroute D9. Den Gegenwind bin ich noch nicht los, es geht immer noch teilweise ostwärts. Kurz vor Harburg stosse ich auf die Wörnitz. Diesem Fluss folge ich nun. 

Blick auf die Wörnitz und Harburg

Blick auf die Wörnitz und Harburg

Die Brücke in die Stadt Harburg

Häkelkunst weht im Wind

Bei Wörnitzstein thront eine kleine Kapelle auf einem Felsen, die Kalvarienbergkapelle. Ein schöner Anblick. Ich sehen einen Landgasthof, und beschliesse, hier zu bleiben. Vielleicht kann ich abends noch ein paar Fotos von der Kapelle machen. Als sie auch nach 10 Uhr abends noch nicht beleuchtet wird, gebe ich das Unterfangen Nachtfotografie jedoch auf.

Eine Gruppe Senioren auf der Wörnitzbrücke in Wörnitzstein

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs zum Thema E-Bikes. 

Ich würde sagen, fast schon 90% der Radler, die mir begegnet sind, fahren E-Bikes. Dazu gehören viele ältere Leute, aber auch die Jungen scheinen sich lieber mit Akku zu bewegen. Ich finde das grundsätzlich toll, aber einige Dinge könnten diese Leute (selbstverständlich nicht alle) mitnehmen:

  1. Grüsst zurück, wenn ihr gegrüsst werdet
  2. Haltet genügend Abstand, wenn ihr überholt. Diese gefühlten 2 mm reichen nicht und ihr seid schnell.
  3. Klingelt, wenn ihr mit den 2 mm überholen wollt. Ich höre euch oft nicht anrauschen und bin schon öfters fast vom Rad gefallen, weil ihr mich so erschreckt habt.

Wenn ihr das beachtet, wird das nebeneinander von dieser immer grösser werdenden Masse von Radfahrern etwas angenehmer zu bewältigen. Immer wieder treffe ich auf Gruppen von älteren Menschen, die auch auf Radtour sind. Sicher meinst etwas komfortabler in Hotels und Gasthöfen, aber da tut sich eine ganz neue Radwelt auf. Vielleicht sollte ich mich beruflich ja doch noch umorientieren und mir diesen Rad-Boom zu Nutze machen. 

Wörnitzstein mit der Wörnitzbrücke und der Kalvarienbergkapelle

Abendstimmung in Wörnitzstein

Die Kalvarienbergkapelle in Wörnitzstein bei Sonnenuntergang

Die Kalvarienbergkapelle bei Sonnenuntergang

Der Landgasthof Schmidbaur in Wörnitzstein

Details in Wörnitzstein

Die Kalvarienbergkapelle bei zur blauen Stunde

Ein paar Kilometer weiter erreiche ich Donauwörth. Eine erstaunlich sympathische Stadt. Und hier geschieht es nun endlich. Ich drehe in Richtung Westen ab. Das sollte heissen: Rückenwind. So ist es auch! Ich fahre nun auf dem Donauradweg, doch von der Donau sehe ich die erste Zeit nichts. Dafür fliege ich über die kleinen Landstrassen. Eine Wohltat, nach 6 Tagen Gegenwind. Immer wieder sind kleinere Städte zu durchfahren, wie z.B. Höchstädt, Dillingen oder Gundelfingen an der Donau. Da wächst die Chance jeweils deutlich, dass ich mich verfahre. Ich komme gut voran, aber bald wird das Fahren auf dem Donauradweg etwas monoton. Ich konnte mich bis anhin noch mit keinem Flussradweg wirklich anfreunden, mir wird da schnell langweilig. Darum mag ich Pässe, da ändert sich mit den Höhenmetern jeweils viel mehr. Es ist auch ziemlich heiss geworden, in den frühen Nachmittagsstunden wird es still auf den Strassen. Nur ich strample durch die Hitze.

Donauwörth im Morgenlicht

Die Donau

Das Schloss Höchstädt in Höchstädt an der Donau

Das Schloss Höchstädt in Höchstädt an der Donau

Einfahrt nach Lauingen

Einfahrt nach Lauingen

Der Marktplatz von Lauingen mit dem Schimmel- oder Hofturm

Der Marktplatz von Lauingen mit dem Schimmel- oder Hofturm

Bei einer kleinen, speziellen Kappelle mache ich kurz halt. Es ist die Kapelle Gundelfingen von dem Augsburger Architekten Hans Engel. In der Kapelle laden zwei kleine Tische zum Verweilen im Schatten ein. Dabei fällt mein Blick auf die Sprüche an der Glaswand: Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben. 

Auf meiner mehrjährigen Reise habe ich oft gesagt, dass das Reisen mit dem Rad genau die richtige Geschwindigkeit hat, damit die Seele mitreisen kann. Nach einer Flugreise, die einem sehr schnell an einen total anderen Ort katapultiert, hatte ich oft noch lange das Gefühl, dass die Seele oder was auch immer noch nicht angekommen war. Vielleicht ist es jetzt genauso. Vielleicht ist auch meine Seele noch nicht auf dieser Tour angekommen. An der Distanz kann es nicht liegen, aber es kann ja auch andere Gründe geben…

Die Kapelle Gundelfingen von dem Augsburger Architekten Hans Engel

Die Kapelle Gundelfingen von dem Augsburger Architekten Hans Engel nahe Peterswörth

Zeit für Gedanken bei der Rast in der Kapelle

Ich erreiche Ulm. Vom Radweg sehe ich die Spitze des Münsters. Ich mache ein Foto und will weiterfahren. Na, so weit ist das nicht entfernt und wenn ich schon einmal in Ulm bin, sollte ich mir das Münster auch ansehen. Ich fahre in die Stadt rein. Das Ulmer Münster ist die grösste gotische Kirche in Süddeutschland. Der 161,53 m hohe Kirchturm ist bis heute der höchste der Welt. Ein wahrlich imposanter Anblick. Da treffe ich auch wieder auf eine Donauradweg-Radlerin. Wir fotografieren und gegenseitig, wobei sie mit meiner «richtigen» Kamera etwas überfordert ist. Wie die meisten Leute, die sie in die Hand gedrückt kriegen. Vielleicht deshalb ist auf jedem Foto entweder die Spitze oder die Füsse abgeschnitten. Na, dafür gibt es Photoshop.

Das Ulmer Münster mit dem 161,53 m hohen Kirchturm

Das Ulmer Münster mit dem 161,53 m hohen Kirchturm

Das Rathaus von Ulm

Ich fahre weiter, ich möchte aus der Stadt raus. Unter den Brücken hängen die Obdachlosen rum und der Duft ist nicht immer der Beste. Ich suche meinen Abzweig nach Süden, überquere die Donau und folge nun der Iller. Ein schöner Schotterweg folgt dem Fluss und im Schatten der Bäume wird es langsam kühler. Auch hier gibt es keine Campingplätze, aber ich fahre noch eine Weile weiter, weil es so angenehm ist. In Senden biege ich ab, da müsste ich einen Übernachtungsplatz finden. Ich finde Landgasthöfe immer etwas praktischer als Stadthotels, darum fahre ich ca. 5 Kilometer weiter. Da angekommen heisst es: keine Zimmer mehr frei. Schön blöd, vor allem bin ich nach 125 km etwas müde. Aber der nette Herr überlegt lange, spricht dem Computer gut zu, der die Hitze wohl auch nicht so gut verträgt. Dann meint er, dass er noch Zimmer hätte, ein etwas grösseres. Als ich im Dachgeschoss ankomme weiss ich was er meint. Es ist ein ganzes Appartement mit 8 Betten, Küche, Sofa und allem Drum und Dran. Passt auch.

Weitblick auf das Ulmer Münster

Das imposante Kloster Wiblingen ausserhalb von Ulm

Das imposante Kloster Wiblingen ausserhalb von Ulm

Das grosse Zimmer

Ich folge weiter der Iller, der Schotter-Radweg folgt meist dem Fluss. Auch die Iller wurde kanalisiert, es ist immer etwas schade, die Flüsse so zu sehen. Es geht durch Wälder und viele bunte Blumen blühen am Wegrand. Es gefällt mir hier. Nach 2 Stunden sehe ich einen ersten, anderen Radler, sonst ist es hier absolut ruhig. Das ist sehr schön.

Die Iller und einer der vielen Stufen

Türkenbund entlang der Iller

Türkenbund

Schotter und Blumen am Iller Radweg

Wald-Perspektiven auf dem Iller-Radweg

Doch irgendwann wird auch das Fahren hier monoton. In dem Moment beigt der Weg vom Fluss ab und es folgen ein paar richtige Steigungen. Der Radweg nach Maria Steinbach ist gesperrt, ich suche nach einer Umfahrung. Ich könnte abkürzen, doch ich denke mir, dass ich ja viel Zeit habe und fahre hoch zu der Wallfahrtskirche von Maria Steinbach, um weiter dem Iller-Radweg zu folgen.

Die Wallfahrtskapelle von Maria Steinbach

Hier kann man im Sack, Loch oder Graben landen

Kempten an der Iller

Vielleicht hätte ich das lassen sollen, denn der Weg zieht sich und die Durchfahrt durch Kempten während dem Feierabendverkehr ist etwas mühsam. Zudem ist der Radweg noch einmal gesperrt und die Umleitung für einen steilen Hang hinauf. Langsam bin ich müde. Es gibt einen Camping in der Nähe, der liegt auf der anderen Flussseite. Bei Flüssen muss man immer etwas schauen, wo man sie überqueren kann. So lande ich auf dem Camping Öschlesee. Für einmal ist die Zeltwiese schön gross mit vielen Bäumen und mit 14.50 Euros ist es einer der günstigsten Plätze der Reise. Hier gefällt es mir sehr gut. Anderen Radlern auch, wie z.B. Michi aus der Innerschweiz, auf den ich hier treffe.

Sonnenuntergang am Öschlesee

Morgenkaffee auf dem Camping Öschlesee

Wenn der Bäckerwagen auf dem Camping um 7 Uhr öffnet: Frühstück de Luxe

Morgens steht bei diesem Camping von 7 bis 10 Uhr ein Bäckereiwagen. Sehr cool! Kurz nach 7 Uhr stehe da und kaufe mir ein frisches  Brötchen und einen Schoggi-Gipfel. Das nenn ich mal ein etwas anderes Frühstück. Ich mache mich auf den Weiterweg, weiter entlang der Iller bis nach Immenstadt im Allgäu. Hier verlasse ich den Iller-Radweg, der noch bis nach Oberstdorf führen würde. Für mich geht es nun in Richtung Westen und Bodensee. Bald folge ich auf einer ruhigen Landstrasse dem Grossen Alpsee. In Oberstadt muss ich etwas genauer schauen, wie ich fahren soll, den Wege gibt es viele. Hier folgen nun auch längere Steigungen und bei der Hitze komme ich das erste Mal so richtig ins Schwitzen. Zum ersten Mal wird mir so richtig bewusste, dass es die letzten Tage selbst bei der Hitze eigentlich ganz angenehm war, obwohl ich an vielen Tagen auch 800 bis 900 Höhenmeter rauf gefahren bin. Vielleicht ist die Tour ja doch nicht so schlecht. Schön, wenn man das zum Schluss doch noch irgendwie realisiert. Ich schaue auf der Karte, zu welchem Ort ich als nächsten fahren könnte und fahre so rauf und runter und im Zickzack langsam nach Weiler. In der Ferne sind das erste Mal wieder die Alpen zu sehen. Die Berge habe ich vermisst. 

Endlich wieder ein paar richtige Berge in der Ferne

Nach Scheffau überquere ich die Grenze nach Österreich. Kaum da, folgt der erste Tunnel der Reise. Ich bin definitiv in Österreich. Vor drei Jahren wurde ich in einem österreichischen Tunnel fast überfahren. Ich montiere alle Lichter und begebe mich in den Tunnel. Der ist zum Glück nur kurz. Komoot will mich noch über einen steilen Hügel schicken, doch dem begegne ich nie. Auf der Hauptstrasse fetze ich runter nach Bregenz. Dort muss ich wieder ein paar Mal nach dem Weg sehen. Interessanterweise werde ich gleich mehrmals gefragt, ob man mir helfen kann. Das ist in der ganzen Zeit in Deutschland nie passiert.

Blick auf Bregenz und in Richtung Rheintal

Blick auf das Burgrestaurant Gebhardsberg

Ich steure den Camping in Dornbirn an. Als ich endlich da ankomme, sitzt da schon jemand auf seinem Stuhl auf der Zelt-Wiese: «Ich hätte nicht gedacht, dich nochmals zu sehen.» Es ist Michi aus der Innerschweiz. Er ist eine längere Route gefahren, aber mit E-Bike. Ich laufe nach wie vor mit Schoggi und Panforte. Wir schwatzen eine Weile und abends lädt er mich in der Campingbeiz auf einen Drink ein. Wie für Radler üblich ist kurz nach 21 Uhr Zeltzeit. Nachtruhe kennen die Österreicher wohl nicht, denn bis kurz vor Mitternacht wird in der Beiz laut gegrölt.

It’s tea time

Zwei Radler startbereit in Dornbirn: Grosse und kleine Räder

Am Morgen trennen sich die Wege wieder und ich fahre durch Österreich langsam wieder in Richtung Rhein. Heute viel mein Frühstück sehr dürftig aus, darum habe ich bald Lust auf ein zweites. Ich weiss aus Erfahrung, dass ich mit dem Essen etwas vorsichtig sein muss, denn so ein Snack kann mir den Rest der Heimfahrt vermiesen. Beim Bahnhof in Rankweil hat es ein nettes kleines Café, da gönne ich mir einen Cappuccino und eine Zuckerschnecke. Beides sehr lecker. Und magenfreundlich, wie sich bei der Weiterfahrt herausstellen wird.

Die Basilika in Rankweil

Ich überquere die Grenze ins Liechtenstein. Diesmal will ich durch Vaduz fahren. Aber ich verpasse wohl wieder einen Wegweiser und lande früher als erwartet auf dem Rheindamm. Ich kenne diese Strecke schon fast in- und auswendig, da ich sie schon so oft gefahren bin. Aber irgendwie erfreut mich der Anblick des türkis-farbigen Rheins heute. Was für eine schöne Farbe. Donau, Wörnitz und die Iller waren alle eher braun. Was auch sehr hilft… ich habe den Wind im Rücken. Da macht Radfahren auf dem Rheindamm sehr viel mehr Spass. Ich überquere den Rhein und bin nun wieder in der Schweiz unterwegs.

Blick auf den Säntis

Ein Storch auf Futtersuche

Anflugschneise Rhein-Radweg

Grenzerfahrung: Liechtenstein–Schweiz

Have a last Break!

Fliegen auf dem Rheindamm. Viel besser als Gegenwind!

Ich fliege der Heimat entgegen und nach knappen 1000 km endet diese Tour wieder einmal direkt vor meiner Haustüre in Chur.

Eine eher spezielle Tour findet somit ihr Ende. Es ist das erste Mal, seit ich wieder aus Südamerika zurück bin, dass ich eine Tour nicht wirklich geniessen konnte. Die Gründe kenne ich bis heute nicht genau, aber es waren wohl viele. Wenn man eine nicht so anspruchsvolle Tour sucht, kann ich den Schwäbische Alb Radweg aber empfehlen. Und die neue Streckenführung ist vielleicht auch noch interessanter. Auf dem Weg gibt es viel zu sehen, wenn man sich die Zeit nimmt. Auf jeden Fall sollte man den Weg nach Möglichkeit von Ost nach West fahren, da ist einem der Wind eindeutig wohlgesinnter. Ich werde meine Gedanken etwas sammeln und schauen, was die Zukunft bringen wird… vielleicht doch wieder ein paar Pässe oder einfach mal was ganz anderes.